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Bedenkliche Qualität bei Medizinal-Cannabis aus Apotheken?

Eine Bestandsaufnahme aus NRW & ganz Deutschland

Im Kreis Recklinghausen und weiteren Teilen von Nordrhein-Westfalen häufen sich derzeit Berichte von Patient:innen über auffällige Qualität und Wirkung bei Cannabisblüten aus Apotheken. In einer aktuellen Umfrage unter Konsumenten im Kreis Recklinghausen gaben rund 70 % an, dass die Blüten nicht nur ungewöhnlich hart und kompakt, sondern auch optisch und geschmacklich deutlich von gewohntem Homegrow oder niederländischer Ware abweichen. Der Geschmack wird oft als unangenehm oder sogar „fürchterlich" beschrieben, das Abbrennverhalten und die Struktur erscheinen vielen verdächtig. 

Besonders bedenklich: Auch die Wirkung ist laut langjährigen Konsumenten kaum wiederzuerkennen – viele berichten von sehr starker, aber unangenehmer Sedierung, starker Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schweißausbrüchen, die teilweise bis zu zehn Stunden anhalten.

Diese Erfahrungen werden mittlerweile nicht nur in NRW, sondern bundesweit geschildert. Besonders alarmierend ist dabei, dass auch erfahrene Nutzer mit jahrzehntelanger Konsumgeschichte und Erfahrungen mit Homegrow, niederländischen Coffeeshops und Schwarzmarkt von „völlig anderer Wirkung" sprechen. Sie bezeichnen das aktuelle Medizinalcannabis als „nicht alltagstauglich" und warnen:

dass gerade Neupatienten die Wirkung als normal ansehen könnten – mit möglicherweise gefährlichen Folgen?

Woran kann das liegen? 
Mögliche Ursachen und Erklärungsansätze 

1. Verarbeitung nach GMP/GACP & industrielle Methoden

Medizinalcannabis unterliegt in Deutschland strengen Vorschriften: Anbau, Verarbeitung, Trocknung und Verpackung werden nach GMP (Good Manufacturing Practice) und GACP (Good Agricultural and Collection Practice) durchgeführt. Das garantiert zwar Reinheit und standardisierte Wirkstoffgehalte, kann aber auch die Feinqualität beeinflussen: Industrielle Trocknung, Bestrahlung zur Keimreduktion (Gamma- oder Elektronenstrahlen) und maschinelle Verarbeitung zerstören einen Teil der Terpene – genau die Stoffe, die Geschmack, Aroma und auch die Feinwirkung bestimmen. Viele Konsumenten vermuten deshalb, dass das typische „Apotheken-Heu-Aroma" und der eigentümliche Geschmack mit dieser Verarbeitungsweise zusammenhängt.

Auch die extremen Unterschiede zur Homegrow-Qualität (z. B. Frische, Feuchtigkeitsgehalt, Hand-Trim) lassen sich damit erklären: Für die pharmazeutische Abgabe muss die Blüte sehr trocken und hygienisch sein, wodurch sie oft hart, kompakt, teilweise bröselig und ungewohnt wirkt. Das kann auch das Abbrennverhalten verändern und den Geschmack beeinträchtigen.

2. Bestrahlung und Terpenverlust

Um Schimmel und Bakterien zu vermeiden, werden viele medizinische Cannabisblüten mit Gamma- oder Elektronenstrahlung behandelt. Dabei können bis zu 30 % der hochflüchtigen Terpene verloren gehen. Viele Patienten berichten, dass bestrahlte Blüten „platt" schmecken und ihre Wirkung anders (meist flacher oder unangenehmer) ausfällt. Während der THC-Gehalt meist erhalten bleibt, leidet die komplexe Gesamtwirkung – vor allem für erfahrene Nutzer deutlich spürbar.

3. Trocknung, Lagerung und Frische

Ein weiterer Grund für seltsam harte oder geschmacklose Blüten kann Überlagerung oder zu trockene Lagerung sein. Gerade bei Importware vergehen oft Monate von der Ernte bis zur Abgabe in der Apotheke. Zu alte oder falsch gelagerte Blüten bauen nicht nur THC zu CBN ab (was stark sedierend wirkt), sondern verlieren auch Aroma und Geschmack. Übermäßig trockene Blüten sind hart, bröselig und brennen anders ab – genau das, was viele Konsumenten aktuell beschreiben.

4. Mögliche Verunreinigungen, Streckmittel oder Produktionsmängel

Trotz strenger Kontrolle kann es vereinzelt zu Problemen kommen:
Im Juni 2025 wurde etwa eine Charge Medizinalcannabis wegen Verdacht auf Schimmel zurückgerufen – ein klares Indiz, dass trotz aller Regulatorik Fehler passieren können.
Noch schwerer wiegt die Befürchtung, es könnten verbotene Wachstumsregulatoren (PGRs) oder andere Fremdstoffe im Umlauf sein. In der illegalen Szene werden PGRs eingesetzt, um die Blüten extrem kompakt und schwer zu machen – oft auf Kosten der Qualität, des Aromas und der Wirkung. Ähnlichkeiten zu den aktuellen Apothekenblüten sind auffällig, Beweise gibt es dafür jedoch bislang nicht.
Vereinzelt gibt es auch im Ausland Fälle, wo Cannabis nachträglich mit synthetischen Cannabinoiden versetzt wurde – das führte zu sehr starken, oft unangenehmen oder sogar gefährlichen Wirkungen. Bisher liegen aber keine gesicherten Hinweise vor, dass so etwas in deutschen Apotheken passiert ist.

5. Werbung für medizinisches Cannabis – juristisch fragwürdig

Vermehrt tauchten 2024/25 in NRW und deutschlandweit Werbekampagnen für medizinisches Cannabis auf, teils sogar als Plakate oder Buswerbung. Ein besonders auffälliger Fall wurde im Dezember 2024 in Erkrath dokumentiert, wo Plakate für ein Online-Cannabis-Rezept für unter 10 € warben – ganz klar konsumorientiert und ein Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz. Das Gesetz verbietet jede öffentliche Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, auch für medizinisches Cannabis. Behörden reagierten prompt und ließen die Werbung entfernen. Dennoch zeigt das Beispiel, dass die Grenzen zwischen Information, Aufklärung und unzulässiger Werbung immer mehr verschwimmen – auch das ist bedenklich für Patientensicherheit und Seriosität.

6. Medizinisches Cannabis statt gemeinschaftlichem Anbau: Die Realität sieht anders aus

Ein weiteres großes Problem, das aktuell viele Patient:innen und Cannabis-Interessierte beobachten, ist die massive Verschiebung vom gemeinschaftlichen Anbau hin zum medizinischen Einzelbezug. Während politisch ursprünglich versprochen wurde, dass durch die Legalisierung Anbauvereinigungen und gemeinschaftliche Strukturen gestärkt werden, sieht die Praxis ganz anders aus: Aufgrund der niedrigen Voraussetzungen und der äußerst unkomplizierten Online-Prozesse werden inzwischen immer mehr Konsum-Cannabis-Patienten einfach auf Medizinalcannabis „umgestellt". Es genügt oft, online einen kurzen Fragebogen auszufüllen oder eine digitale Videosprechstunde zu absolvieren – schon wird ein Rezept auf rechtlich fragwürdiger Grundlage ausgestellt und gleichzeitig die Bestellung ausgelöst. Das Ergebnis: Medizinisches Cannabis wird – völlig legal – bequem und ohne große Auflagen direkt nach Hause geliefert, während die streng regulierten Anbauvereinigungen kaum handlungsfähig sind.

Von dem „gemeinschaftlichen Cannabis-Anbau", wie ihn Gesundheitsminister Karl Lauterbach der Bevölkerung einst in Aussicht stellte, ist aktuell wenig zu sehen. Viele Anbauvereinigungen kämpfen immer noch mit massiven bürokratischen Hürden und dürfen zum Teil nicht einmal aktive und passive Mitglieder aufnehmen. Stattdessen sind sie verpflichtet, den gemeinschaftlichen Anbau auf sämtliche Mitglieder sozial gerecht und nachvollziehbar zu protokollieren – ein immenser Aufwand, gerade bei großen Vereinigungen mit mehreren hundert Mitgliedern. Die Organisation, dass jedes einzelne Mitglied seine gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststunden pro Jahr tatsächlich leistet und sauber nachweisen kann, ist technisch und logistisch eine große Herausforderung. Auch deshalb engagieren wir uns in einem separaten Projekt aktuell an der Entwicklung einer Open-Source-Softwarelösung, die den Cannabis-Anbauvereinigungen helfen soll, diese organisatorischen und rechtlichen Anforderungen in Zukunft digital, transparent und sicher abzubilden.

7. Cannabis Social Clubs und Anbauvereinigungen: Qualität durch Gemeinschaft und Handarbeit

Cannabis Social Clubs und Anbauvereinigungen bieten eine echte Alternative zum industriell produzierten Medizinalcannabis. Hier haben wir – wie zum Beispiel in unseren eigenen Vereinigungen – die Möglichkeit, uns freiwillig an GMP- und GACP-Richtlinien zu orientieren, ohne an die starren Vorgaben der Industrie gebunden zu sein. Das eröffnet enorme Freiräume: Wir können exklusive, hochqualitative Sorten auswählen, die im Apothekenbereich niemals verfügbar wären, und den gesamten Prozess – vom Anbau über die Ernte bis hin zum sogenannten Curing, also der Veredelung und Reifung der Blüten – ganz nach den Vorstellungen und Qualitätsansprüchen unserer Mitglieder gestalten.

Dadurch kann die Qualität aus Anbauvereinigungen nicht nur mit Medizinalcannabis konkurrieren, sondern sie oft deutlich übertreffen. Gerade wer auf Geschmack, Aroma, ein rundes Wirkerlebnis und Sortenvielfalt Wert legt, findet hier das, was im Apothekensystem nicht möglich ist. In Märkten wie Kalifornien zeigen unzählige Beispiele, wie durch liebevolle Handarbeit, exklusive Genetik und aufwändige Veredelung echte Spitzenprodukte entstehen – Qualitätsstufen, die für Apothekenprodukte aus gesetzlichen Gründen unerreichbar sind.

Ein weiterer Vorteil: Gemeinschaftlicher Anbau kann auch preislich neue Maßstäbe setzen. Hochwertig veredeltes Cannabis aus Vereinen könnte – je nach Aufwand und Sorte – einen völlig anderen Marktwert erreichen als industriell standardisiertes Produkt, solange die Nachvollziehbarkeit und Legalität gewährleistet sind. Nur im Rahmen einer solchen Vereinigung ist es überhaupt möglich, Blüten auf ein so hohes Niveau zu bringen.

Am Ende gilt: Die Community ist der beste Weg zu nicht-kommerzieller Spitzenqualität. Während Wirtschaftlichkeit und Standardisierung in der Industrie oft Grenzen setzen, kann im Verein jede Entscheidung transparent und gemeinschaftlich getroffen werden – mit Liebe zum Detail, für die Mitglieder und deren Bedürfnisse. Das macht den Unterschied zwischen industrieller Massenware und echter Manufaktur-Qualität aus der Gemeinschaft.

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Fazit und Forderung: Qualität, Transparenz und Kontrolle stärken!

Die beschriebenen Phänomene sollten von Politik, Behörden und Patient:innen ernst genommen werden. Auch wenn viele Ursachen harmlos und regulatorisch erklärbar sein mögen, gibt es noch zu viele offene Fragen. Gerade angesichts der Teil-Legalisierung von Cannabis in Deutschland ist Verbraucherschutz oberstes Gebot.
Wir empfehlen daher:

  • Regelmäßige unabhängige Labortests von Apotheken-Cannabis auf Inhaltsstoffe und Schadstoffe
  • Mehr Transparenz über Herkunft, Verarbeitungsmethoden und eventuelle Rückrufe
  • Striktere Kontrolle und Durchsetzung der Werbeverbote
  • Einfache und anonyme Meldemöglichkeiten für Patient:innen, die auffällige Ware erhalten haben


Haftungsausschluss:
Die hier wiedergegebenen Informationen basieren auf Konsumentenberichten, Medienquellen und bisher veröffentlichten Analysen. Es liegen bislang keine offiziellen Laborbestätigungen für Streckmittel oder schwerwiegende Kontaminationen bei Medizinalcannabis aus deutschen Apotheken vor. Alle Verdachtsmomente bleiben Hypothesen, bis unabhängige Analysen Klarheit schaffen. 

Quellen:

Deutsche Apotheker Zeitung: Medizinalcannabis – Entwicklung & Qualitätsprobleme
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/04/22/ansturm-der-cannabis-privatrezepte
(https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2024/04/22/ansturm-der-cannabis-privatrezepte)

Cannabis Social Club Recklinghausen e.V. - Hinweise und Umfrageergebnisse aus dem Kreis Recklinghausen
https://www.csc-recklinghausen.de
(https://www.csc-recklinghausen.de)

ZDFheute: Anbauvereine bürokratisch ausgebremst
https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/cannabis-anbauverein-genehmigung-buerokratie-100.html
(https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/cannabis-anbauverein-genehmigung-buerokratie-100.html)

Bundesgesundheitsministerium: FAQ zum Cannabisgesetz
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html
(https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz.html)

GreenMedical: Online-Rezept-Angebot für Medizinalcannabis
https://greenmedical.health/
(https://greenmedical.health/)

Apotheke Adhoc: Kritik an Online-Rezeptvergabe & Qualitätsmängeln
https://www.apotheke-adhoc.de/rubriken/detail/medizinisches-cannabis/hoch-medizinal-cannabis-soll-wieder-btm-werden/
(https://www.apotheke-adhoc.de/rubriken/detail/medizinisches-cannabis/hoch-medizinal-cannabis-soll-wieder-btm-werden/)

Apotheke Adhoc: Missbrauch und Rückrufe bei Medizinalcannabis
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/seit-legalisierung-vermehrt-missbrauch-bei-cannabisrezepten/
(https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/seit-legalisierung-vermehrt-missbrauch-bei-cannabisrezepten/)

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Qualitätsanforderungen
https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Medizinisches-Cannabis/_node.html
(https://www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/Cannabis/Medizinisches-Cannabis/_node.html)

Leafly.de: Lagerung, Bestrahlung, Terpenverluste bei Medizinalcannabis
https://www.leafly.de/medizinische-cannabisblueten-bestrahlung-und-qualitaet/
(https://www.leafly.de/medizinische-cannabisblueten-bestrahlung-und-qualitaet/)

Heilmittelwerbegesetz (HWG) – Werbebeschränkungen für Rx-Arzneimittel
https://www.gesetze-im-internet.de/heilmwerbg/
(https://www.gesetze-im-internet.de/heilmwerbg/)

WAZ: Cannabis-Werbung auf Bussen und Plakaten
https://www.waz.de/staedte/kreis-mettmann/cannabis-werbung-in-erkrath-busplakate-id240240425.html
(https://www.waz.de/staedte/kreis-mettmann/cannabis-werbung-in-erkrath-busplakate-id240240425.html)

Apotheken Umschau: Rückruf Medizinalcannabis wegen Schimmel
https://www.apotheken-umschau.de/medikamente/arzneimittel-rueckrufe/medizinalcannabis-rueckruf-wegen-schimmel-982603.html
(https://www.apotheken-umschau.de/medikamente/arzneimittel-rueckrufe/medizinalcannabis-rueckruf-wegen-schimmel-982603.html)

Arznei-Telegramm: Probleme mit Importware und Lagerung
https://www.arznei-telegramm.de/html/2021_01/2101056_01.html
(https://www.arznei-telegramm.de/html/2021_01/2101056_01.html)

DAZ: PGR-Problematik und Streckmittel im illegalen Markt
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/09/14/pgr-weed-das-steinharte-gramm-glueck
(https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/09/14/pgr-weed-das-steinharte-gramm-glueck)

Leafly.de: Erfahrungen von Konsumenten mit Apothekenblüten
https://www.leafly.de/foren/topic/medizinalcannabis-unterschiede-homegrow-apotheke/
(https://www.leafly.de/foren/topic/medizinalcannabis-unterschiede-homegrow-apotheke/)

Tagesspiegel: Debatte um Cannabisqualität in Deutschland
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/debatte-um-cannabis-qualitat-und-risiken-in-deutschland-11393710.html
(https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/debatte-um-cannabis-qualitat-und-risiken-in-deutschland-11393710.html

Keine Preissenkung für Anbauvereinigungen erlaubt:...
 

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Montag, 07. Juli 2025